Tatort: Das zweite Gesicht (NDR)
http://sopran.twoday.net/stories/2925796/
Bariton bringt einen halben Nachtisch mit, Alt eine Tüte Chips, Chefdechoeur und Mann eine Flasche Sekt, die Muttern für das schöne Konzert letzte Woche spendiert hat. O aus Münster hält den kleinen Flaschenöffner in Ehren, den ich ihm vor vier Jahren geschenkt habe. Münstertatort.
Die Geschichte ist schnell erzählt. In Münster ist es sehr kalt. Das erkennt man an der teilentsättigten Stadtansicht. Brrrr. Es wird ein totgefrosteter Obdachloser gefunden, den hat jemand mit Wasser übergossen. Assistentin Nadeschda nimmt sich seiner an. Wo ist eigentlich der Bulle Bulle? Oder war der nicht in Münster?
In Dr. Börnes Haus ist die Heizung kaputt, sein Mieter Hauptkommissar Thiel friert. Er sitzt mit Mütze und Schal in seiner Küche am offenen Backofen und wärmt sich die Hände über einem alten Toaster. Zum Aufwärmen knutscht er im Büro ein Heizungsrohr. "Soll ich schon mal die Nummer vom Mieterverein raussuchen?" fragt Alberich (meine Lieblingsdarstellerin ChristTine Urspruch, dieses Mal leider nur kurz zu sehen).
In einem spinnwebigen Haus läuft eine ältere Frau mit Wollhütchen herum, die Hellseherin, wie aufmerksame Zeitungsleser schon ahnen. Zuerst ist ein Mann dabei, nicht erkennbar, den schickt sie dann weg. Sie kritzelt was, ein Bildchen, Sätze in Sütterlin. Wenig später ist sie auch tot, ebenda, vorher hat sie aber noch nach Thiel gesucht, dem Hauptkommissar mit der Sankt Pauli-Bettwäsche. Die Aufzeichnungen sind natürlich weg.
Natürlich haben die Leichen was miteinander zu tun, aber das ist ja nicht so wichtig.
"Solche Häuser gibt es in Münster gar nicht", sagt er. "Das haben die bestimmt in Godesberg gedreht." - "Oder wieder in Bad Honnef, wie damals das Irrenhaus." Dieses Mal aber netterweise wenige "Guck-mal-der-Prinzipalmarkt"-Szenen. Nur einmal: "Aha, die UB. ----- War ich aber nie drin."
Schon mal dagewesen: Alte Geschichte, seit Jahren verschwundene Leiche, Tochter im Internat. Nur letztens war die Internatstochter die alte Moorleiche, dieses Mal ist sie die Überlebende des Familiendramas. Sechs Jahre zuvor waren Vater, Stiefmutter und Sohn Steinhagen aus ihrer Villa verschwunden, unter Hinterlassung von "20 Gramm graue Masse mit Knochensplittern hier an der Wand" und "ein halber Liter Blut auf den Dielen". Börne hat das damals natürlich akribisch untersucht und immer noch Tochter Franziska in Verdacht. Nicht akribisch genug, wie wir später erfahren. Sie hätten's länger her sein lassen sollen als sechs Jahre, denn Franziska Steinhagen ist in den sechs Jahren von 17 auf ca. 32 gealtert, die Familienfotos sind reichlich 80er, gab es nicht 2000 schon Farbfotografie? Ok, in den 80ern auch.
Natürlich haben der eisige Penner Kalle und der Fall was miteinander zu tun. Bis auf Kalle, den man auch hätte einsparen können, herrscht eine angenehme Ökonomie an Figuren. Dass die Frau, die bei Dr. Mittenzwey, Patenkind der Seherin, hat was mit der überlebenden Franziska Steinhagen. Der Bruder wird später durch einen Kleiderhaufen dargestellt, das spart Geld, und man muss sich nicht so viele Gesichter merken. Keine Rückblenden zu dem alten Mord, die toten Eltern treten nur als Skelette auf.
Doktor Mittenzwey, überhaupt. Thiel überrascht ihn in der Wohnung der toten Seherin. Er hat das SIEGEL ERBROCHEN (um diesen schönen Begriff mal zu verwenden). "och, oh, huch" - endlich mal einer überzeugend zu Tode erschrocken, der von einem bewaffneten Tatort-Kommissar gestellt wird. Dafür dann im lang anhaltenden Angstkeuchen der wohlüberlegte Satz: "Aber bitte, strafen Sie mich lügen." Die Alt beschließt, das mal in ihren Biologie-Lehrerinnen-Wortschatz aufzunehmen. Mittenzwey beklagt sich über die Unordnung, die die Polizisten hinterlassen hätten, "von der spirituellen Verwüstung ganz zu schweigen."
Hübsche Nebenfigur: Der Bekloppte von Gegenüber, Herr Krawczyk. Diese Art Verfolgungswahn ("Sie sendet Alphastrahlen aus, wo ist mein Absorber, ich habe alles notiert") ist mir in meiner Tätigkeit als Bürgerpostbeauftragte der damaligen Bundestagspräsidentin öfter begegnet. Implantierte Sender, böse Strahlen. Sehr traurig. Der Absorber ist ein Nudelsieb, das trägt Herr Krawczyk unter seiner Ohrenklappemütze. Später halte ich ihn einen Moment lang für den verschwundenen Steinhagen-Bruder, aber es muss ja nicht jeder Kreis sich schließen.
Ich bekomme erst um 21.03 Uhr mit, dass die Leichen fehlen. Sowas Wichtiges könnten sie ruhig öfter sagen, irgendwann muss man sich doch auch mal ein Bier holen gehen.
Herr Krawczyk hat in seinen Akten ("Links sind die Observationspausen vermerkt. Ich b-bin ja auch nur ein Mensch.") regelmäßige Besuche des Dr. Börne bei der Hellseherin vermerkt. Der suche einen "ganz neuen holistischen Ansatz" für seine Ermittlungen, nun ja. Es gibt einen kleinen Nebenstrang mit Spekulationsverlusten, deretwegen der Dr. Börne auch die notwendige neue Heizungsanlage nicht bezahlen kann. Thiel friert und Börne heizt mit allerlei noblen Elektroöfchen. Sein Cell sollte er aber lieber nicht neben dem Ofen stehen lassen.
Unser Freund aus Münster kann einschüchternd gut folgen und weiß schon um fünf nach neun, wie alles war. Ich merke, dass ich unaufmerksam bin. Er sieht ein Bild mit Bäumen (welches Bild?) und sagt: Da liegen die Leichen, für jede Leiche ein Baum.
Mittenzwey wird wenig später aus dem Film geschrieben, irgendwo auf dem platten Westfalenland "stellt sich der Mittenzwey mitten auf die Straße, um sich entzwei fahren zu lassen." (Börne). In der Nähe liegen dann die Leichen, halbwegs zwischen Münster und dem Internat. Um sie zu finden laufen Börne und Thiel in sehr schönen Bildern (Taschenlampenkegel) durch den dunklen Wald. Börne wieder: "Die Karte stimmt nicht, der Wald müsste hier zuende sein, ich habe ein fünfundachtziger Schrittmaß.") Er gräbt ein bisschen mit den Fingern im Boden, was angesichts der Kälte natürlich gar nicht gehen dürfte, und findet, na, was? "Eine Patella" - Aha, der Kieselstein soll eine Kniescheibe sein.
Ich mach auch was richtig: Als Börne der Franziska sagt, dass ihre Eltern gefunden wurden, aber nicht der Bruder. "Jetzt wird sie sagen: Wenn sie ihn auch finden, sagen Sie es mir nicht." Dä.
Ok, dass der Bruder lebt wissen wir ja jetzt schon länger, wenn eine Leiche fehlt, lebt die Leiche halt noch. Bisher. Franziska nimmt später die Waffe noch einmal in die Hand, aber ausnahmsweise darf sie sich nicht entleiben, vielleicht als Täterin nicht tragisch genug. Der Bruder mag der Mörder seiner Mutter gewesen sein oder seiner Eltern oder gar nicht, so genau erfahren wir das doch nicht, dieser Franziska ist ja nicht zu trauen, die war in ihren Bruder verliebt und hat ihn nun wegen Zurückweisung auch mal schnell um die Ecke gebracht. So wie die Seherin und Dr. Mittenzwey. Weil die ihnen draufgekommen waren.
Und Eis-Kalle hatte mit dem Bruder in der Knaben C-Mannschaft Fußball gespielt und war sein Doppelgänger, weshalb Christoph Steinhagen als Karl-Heinz Metzler weiterleben wollte und Kalle verschwinden sollte. Oder so. Den toten Kalle hatten sie glaube ich eher dafür reingeschrieben, dass Nadeschda auch mal was zu tun hat.
Was dieses Mal fehlte:
Genug Alberich
Musik beim Sezieren
Was dazu kam:
Staatsanwältin Klemm schläft mit Börnes Thiels bekifftem Vater (Danke für die Korrektur, Erasmus von Meppen)
Bariton bringt einen halben Nachtisch mit, Alt eine Tüte Chips, Chefdechoeur und Mann eine Flasche Sekt, die Muttern für das schöne Konzert letzte Woche spendiert hat. O aus Münster hält den kleinen Flaschenöffner in Ehren, den ich ihm vor vier Jahren geschenkt habe. Münstertatort.
Die Geschichte ist schnell erzählt. In Münster ist es sehr kalt. Das erkennt man an der teilentsättigten Stadtansicht. Brrrr. Es wird ein totgefrosteter Obdachloser gefunden, den hat jemand mit Wasser übergossen. Assistentin Nadeschda nimmt sich seiner an. Wo ist eigentlich der Bulle Bulle? Oder war der nicht in Münster?
In Dr. Börnes Haus ist die Heizung kaputt, sein Mieter Hauptkommissar Thiel friert. Er sitzt mit Mütze und Schal in seiner Küche am offenen Backofen und wärmt sich die Hände über einem alten Toaster. Zum Aufwärmen knutscht er im Büro ein Heizungsrohr. "Soll ich schon mal die Nummer vom Mieterverein raussuchen?" fragt Alberich (meine Lieblingsdarstellerin ChristTine Urspruch, dieses Mal leider nur kurz zu sehen).
In einem spinnwebigen Haus läuft eine ältere Frau mit Wollhütchen herum, die Hellseherin, wie aufmerksame Zeitungsleser schon ahnen. Zuerst ist ein Mann dabei, nicht erkennbar, den schickt sie dann weg. Sie kritzelt was, ein Bildchen, Sätze in Sütterlin. Wenig später ist sie auch tot, ebenda, vorher hat sie aber noch nach Thiel gesucht, dem Hauptkommissar mit der Sankt Pauli-Bettwäsche. Die Aufzeichnungen sind natürlich weg.
Natürlich haben die Leichen was miteinander zu tun, aber das ist ja nicht so wichtig.
"Solche Häuser gibt es in Münster gar nicht", sagt er. "Das haben die bestimmt in Godesberg gedreht." - "Oder wieder in Bad Honnef, wie damals das Irrenhaus." Dieses Mal aber netterweise wenige "Guck-mal-der-Prinzipalmarkt"-Szenen. Nur einmal: "Aha, die UB. ----- War ich aber nie drin."
Schon mal dagewesen: Alte Geschichte, seit Jahren verschwundene Leiche, Tochter im Internat. Nur letztens war die Internatstochter die alte Moorleiche, dieses Mal ist sie die Überlebende des Familiendramas. Sechs Jahre zuvor waren Vater, Stiefmutter und Sohn Steinhagen aus ihrer Villa verschwunden, unter Hinterlassung von "20 Gramm graue Masse mit Knochensplittern hier an der Wand" und "ein halber Liter Blut auf den Dielen". Börne hat das damals natürlich akribisch untersucht und immer noch Tochter Franziska in Verdacht. Nicht akribisch genug, wie wir später erfahren. Sie hätten's länger her sein lassen sollen als sechs Jahre, denn Franziska Steinhagen ist in den sechs Jahren von 17 auf ca. 32 gealtert, die Familienfotos sind reichlich 80er, gab es nicht 2000 schon Farbfotografie? Ok, in den 80ern auch.
Natürlich haben der eisige Penner Kalle und der Fall was miteinander zu tun. Bis auf Kalle, den man auch hätte einsparen können, herrscht eine angenehme Ökonomie an Figuren. Dass die Frau, die bei Dr. Mittenzwey, Patenkind der Seherin, hat was mit der überlebenden Franziska Steinhagen. Der Bruder wird später durch einen Kleiderhaufen dargestellt, das spart Geld, und man muss sich nicht so viele Gesichter merken. Keine Rückblenden zu dem alten Mord, die toten Eltern treten nur als Skelette auf.
Doktor Mittenzwey, überhaupt. Thiel überrascht ihn in der Wohnung der toten Seherin. Er hat das SIEGEL ERBROCHEN (um diesen schönen Begriff mal zu verwenden). "och, oh, huch" - endlich mal einer überzeugend zu Tode erschrocken, der von einem bewaffneten Tatort-Kommissar gestellt wird. Dafür dann im lang anhaltenden Angstkeuchen der wohlüberlegte Satz: "Aber bitte, strafen Sie mich lügen." Die Alt beschließt, das mal in ihren Biologie-Lehrerinnen-Wortschatz aufzunehmen. Mittenzwey beklagt sich über die Unordnung, die die Polizisten hinterlassen hätten, "von der spirituellen Verwüstung ganz zu schweigen."
Hübsche Nebenfigur: Der Bekloppte von Gegenüber, Herr Krawczyk. Diese Art Verfolgungswahn ("Sie sendet Alphastrahlen aus, wo ist mein Absorber, ich habe alles notiert") ist mir in meiner Tätigkeit als Bürgerpostbeauftragte der damaligen Bundestagspräsidentin öfter begegnet. Implantierte Sender, böse Strahlen. Sehr traurig. Der Absorber ist ein Nudelsieb, das trägt Herr Krawczyk unter seiner Ohrenklappemütze. Später halte ich ihn einen Moment lang für den verschwundenen Steinhagen-Bruder, aber es muss ja nicht jeder Kreis sich schließen.
Ich bekomme erst um 21.03 Uhr mit, dass die Leichen fehlen. Sowas Wichtiges könnten sie ruhig öfter sagen, irgendwann muss man sich doch auch mal ein Bier holen gehen.
Herr Krawczyk hat in seinen Akten ("Links sind die Observationspausen vermerkt. Ich b-bin ja auch nur ein Mensch.") regelmäßige Besuche des Dr. Börne bei der Hellseherin vermerkt. Der suche einen "ganz neuen holistischen Ansatz" für seine Ermittlungen, nun ja. Es gibt einen kleinen Nebenstrang mit Spekulationsverlusten, deretwegen der Dr. Börne auch die notwendige neue Heizungsanlage nicht bezahlen kann. Thiel friert und Börne heizt mit allerlei noblen Elektroöfchen. Sein Cell sollte er aber lieber nicht neben dem Ofen stehen lassen.
Unser Freund aus Münster kann einschüchternd gut folgen und weiß schon um fünf nach neun, wie alles war. Ich merke, dass ich unaufmerksam bin. Er sieht ein Bild mit Bäumen (welches Bild?) und sagt: Da liegen die Leichen, für jede Leiche ein Baum.
Mittenzwey wird wenig später aus dem Film geschrieben, irgendwo auf dem platten Westfalenland "stellt sich der Mittenzwey mitten auf die Straße, um sich entzwei fahren zu lassen." (Börne). In der Nähe liegen dann die Leichen, halbwegs zwischen Münster und dem Internat. Um sie zu finden laufen Börne und Thiel in sehr schönen Bildern (Taschenlampenkegel) durch den dunklen Wald. Börne wieder: "Die Karte stimmt nicht, der Wald müsste hier zuende sein, ich habe ein fünfundachtziger Schrittmaß.") Er gräbt ein bisschen mit den Fingern im Boden, was angesichts der Kälte natürlich gar nicht gehen dürfte, und findet, na, was? "Eine Patella" - Aha, der Kieselstein soll eine Kniescheibe sein.
Ich mach auch was richtig: Als Börne der Franziska sagt, dass ihre Eltern gefunden wurden, aber nicht der Bruder. "Jetzt wird sie sagen: Wenn sie ihn auch finden, sagen Sie es mir nicht." Dä.
Ok, dass der Bruder lebt wissen wir ja jetzt schon länger, wenn eine Leiche fehlt, lebt die Leiche halt noch. Bisher. Franziska nimmt später die Waffe noch einmal in die Hand, aber ausnahmsweise darf sie sich nicht entleiben, vielleicht als Täterin nicht tragisch genug. Der Bruder mag der Mörder seiner Mutter gewesen sein oder seiner Eltern oder gar nicht, so genau erfahren wir das doch nicht, dieser Franziska ist ja nicht zu trauen, die war in ihren Bruder verliebt und hat ihn nun wegen Zurückweisung auch mal schnell um die Ecke gebracht. So wie die Seherin und Dr. Mittenzwey. Weil die ihnen draufgekommen waren.
Und Eis-Kalle hatte mit dem Bruder in der Knaben C-Mannschaft Fußball gespielt und war sein Doppelgänger, weshalb Christoph Steinhagen als Karl-Heinz Metzler weiterleben wollte und Kalle verschwinden sollte. Oder so. Den toten Kalle hatten sie glaube ich eher dafür reingeschrieben, dass Nadeschda auch mal was zu tun hat.
Was dieses Mal fehlte:
Genug Alberich
Musik beim Sezieren
Was dazu kam:
Staatsanwältin Klemm schläft mit Börnes Thiels bekifftem Vater (Danke für die Korrektur, Erasmus von Meppen)
sopran - 13. Nov, 10:40